Interkulturelle Kompetenzen: ein „Muss“ im Berufs- und Privatleben

Hand aufs Herz – wie gut kannst du mit Interkulturalität umgehen? Fällt es dir leicht, dich auf andere Ansichten und Gepflogenheiten einzulassen oder ist da noch Nachholbedarf?

Dass wir in einer zunehmend globalisierten Welt leben und auch Deutschland nicht erst seit 2015 von Vielfalt, Migration und Mehrsprachigkeit geprägt und bereichert (!) wird, dürfte inzwischen allen klargeworden sein. Das Schlagwort „Interkulturelle Kompetenz(en)“ ist dementsprechend präsent und längst auch aus den Lehrplänen und dem Berufsleben nicht mehr wegzudenken: Immer mehr Arbeitgeber* wünschen sich Mitarbeiter, die in interkulturellen und / oder internationalen Teams sicher agieren können.

Umso wichtiger, sich mal näher mit der Thematik zu beschäftigen:
Wovon reden wir eigentlich, wenn wir von Kultur(en) sprechen? Was sind Interkulturelle Kompetenzen, warum sind sie so wichtig und wie kannst du dich besser auf interkulturelle Begegnungen vorbereiten?

Kultur? Kulturen!

Beim Stichwort „Kultur“ denken wohl die meisten von uns einerseits an eine Definition im Sinne von „Hochkultur“ – da entstehen häufig Assoziationen zum Theater, zu Kunst und Literatur, zum Feuilletonteil der Wochenzeitung. Andererseits wird der Begriff sehr oft im Zusammenhang mit dem der Nation gesehen. Dann ist die Rede von der amerikanischen, der chinesischen, der spanischen, der deutschen Nationalkultur. Mitunter passiert es da, dass verallgemeinernde Aussagen gemacht werden wie „Für Italiener steht die Familie an erster Stelle!“ oder „Alle Russen trinken gerne Vodka.“ oder „Deutsche sind immer pünktlich.“, obwohl wir wissen, dass das so natürlich nicht stimmt.

Stereotype und Vorurteile sind menschlich – wir alle haben sie und ehrlich gesagt brauchen wir sie auch, weil sie uns bei der Orientierung in der (immer komplexer werdenden) Welt helfen. Trotzdem darf die Gefahr, die von ihnen ausgeht, nicht unterschätzt werden, denn wer sich nur von ihnen leiten lässt und alle Menschen pauschal einer Kategorie zuordnet, spricht ihnen jegliche Individualität ab.

Das passiert übrigens auch, wenn man versucht, ganze Nationen über einen Kamm zu scheren (ich z. B. habe einen deutschen Pass, aber ich mag weder Wurst noch trage ich Socken in Sandalen). Überhaupt ist beim Sprechen von der eigenen und einer fremden Kultur Vorsicht angesagt, denn wer fühlt sich heute schon noch nur einer einzigen Gruppe zugehörig? Natürlich kann ich mich mit dem Staat identifizieren, in dem ich lebe, und viele Werte und Verhaltensweisen und auch die Sprache mit den Leuten vor Ort teilen. Aber was hat das mit einem Ausweisdokument zu tun? Und warum soll das bedeuten, dass ich mich nicht auch der türkischen oder polnischen oder chinesischen Kultur zugehörig fühle, was auch immer die jeweils ausmacht? Womöglich verstehe ich mich ja auch zuallererst als Europäerin. Oder als Kölner. Oder…

Lasst uns also lieber von Kulturen in Mehrzahl sprechen. Und lasst uns Kulturen nicht als etwas Festes und Starres verstehen, sondern als etwas, das sich im Laufe der Zeit verändern kann. Etwas, das Menschen mit gemeinsamen Ideen und Werten, geteilter Wahrnehmung, Geschichte, Meinungen usw. verbindet. Und dann lasst uns darüber nachdenken, was passiert, wenn Kulturen aufeinandertreffen, d. h. wenn interkulturelle Situationen aufkommen.

Interkulturelle Situationen lauern überall

Nahezu jeder von uns war wohl schon einmal mit einer interkulturellen Begegnung konfrontiert, die ihn oder sie überfordert oder zumindest irritiert hat. Vielleicht fühlte sich die französische Freundin deines Bruders bei der letzten Familienfeier vor den Kopf gestoßen, als du ihr die Hand gegeben hast, anstatt sie mit einem Küsschen links und rechts zu begrüßen. Und womöglich hat es eine Weile gedauert, sich daran zu gewöhnen, dass Uhrzeitangaben von manchen internationalen Kollegen im Büro weniger verbindlich wahrgenommen werden. Und wie war das nochmal neulich im Urlaub, als man dich darauf hinweisen musste, dass die von dir benutzte Handgeste in Rom etwas ganz anderes bedeutet als in Berlin?

Wo verschiedene Meinungen, Sichtweisen, Sprachen, Rituale, Rollenverständnisse, Gepflogenheiten usw. aufeinandertreffen, sind Missverständnisse – leider – nicht immer zu vermeiden. Umso wichtiger ist dann ein respektvoller Umgang miteinander. Das ist gar nicht so schwer. Allgemein gilt bei interkulturellen Konfliktsituationen die Devise: Eigenkulturelle Brille ab- und sich in den anderen hineinversetzen.

Auf einer Hand liegt eine Blase, auf der "Hello" in verschiedenen Sprachen steht.
In interkulturellen Situationen ist Sensibilität gefragt. Versuche, dich in dein Gegenüber hineinzuversetzen.

Interkulturelle Kompetenzen: kognitiv, emotional-affektiv und handlungsorientiert

Bei den interkulturellen Kompetenzen wird allgemein zwischen drei Ebenen (kognitiv, emotional-affektiv und handlungsorientiert) unterschieden. Wer interkulturelle Situationen meistern möchte, muss zunächst einmal über interkulturelles Wissen verfügen. D. h. vereinfacht gesagt, er oder sie sollte sich erstens dessen bewusst sein, dass es kulturelle Unterschiede gibt und der oft zitierte „View from Nowhere“ nicht existiert. Zweitens sollte man sich über spezifische Besonderheiten anderer Kulturen, mit denen man in Berührung kommt, informieren (Sprache, Werte, Verhaltensweisen…), um deren Blickwinkel besser nachvollziehen zu können.

Neben dieser Basis ist interkulturelle Sensibilität wichtig. Dazu gehören u. a. Offenheit und Verständnis sowie ein ehrliches Interesse gegenüber Anderem / Fremdem, aber auch die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.

Zur interkulturellen Handlungskompetenz gehören dann u. a. ein kompetenter Umgang mit Stress und Konflikten, lösungsorientiertes Denken, ein hohes Maß an (Selbst-) Reflexion und Kommunikationskompetenz sowie eine gewisse Integrationsfähigkeit.

Interkulturelle Kompetenz hat also viel damit zu tun, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Gleichzeitig ist aber auch Selbstreflexion wichtig, was mitunter gar nicht so einfach ist. Denn wer sich mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Kulturen beschäftigt, sollte sich zuerst an die eigene Nase fassen: Mit welcher Kultur identifiziere ich mich? Welche Stereotype und Vorurteile trage ich selbst mit mir rum? Was empfinde ich als universell?

Interkulturelle Kompetenzen sind immer mehr gefragt – auch im Beruf

Ein Gespür für interkulturelle Situationen ist nicht nur wichtig für diejenigen unter uns, die für international agierende Konzerne arbeiten und deren Arbeitssprache Englisch ist. Auch der Handwerksbetrieb um die Ecke hat sehr wahrscheinlich kulturelle und / oder sprachliche Vielfalt vorzuweisen. Zum Glück, denn diese kann wirklich sehr bereichernd sein, bringen doch verschiedene Sichtweisen, Interpretationen und Meinungen erst den nötigen Schwung in Arbeitsprozesse und -klima.

Interkulturelle Kompetenzen werden also immer wichtiger – und das nicht nur in der Führungsetage. Dabei vereinfachen sie nicht nur das Zusammenleben, sondern sind auch aus ökonomischer Sicht durchaus sinnvoll, weshalb das Thema große Unternehmen wie zum Beispiel IBM bereits seit den späten 60er Jahren beschäftigt. In der Praxis ist es nämlich schon wichtig, wie man den Geschäftspartner aus Kapstadt am besten verabschiedet oder welches Essen beim Catering ohne Bedenken bestellt werden kann, wenn Kollegen aus Tel Aviv kommen.

Mit Blick auf den Bewerbungsprozess ergibt sich daraus: Erfahrungen im interkulturellen und / oder internationalen Kontext unbedingt angeben, denn interkulturelle Kompetenzen gehören zu den wichtigsten Soft Skills! Dazu zählen selbstverständlich auch der Erasmusaustausch im Studium, deine Zeit als Au-pair oder auch das halbe Jahr Work and Travel in Australien.

Geschäftsleute unterschiedlicher Herkunft sitzen lächelnd beim Meeting zusammen.
Interkulturelle Kompetenzen werden im Beruf immer wichtiger – und damit zum gefragten Soft Skill.

Wie kannst du deine Interkulturellen Kompetenzen ausbauen?

Gerade im Einwanderungsland Deutschland sind wir ständig mit Vielfalt konfrontiert. Weil nicht wenige Menschen und Familien, die in Deutschland leben und arbeiten, ihre eigenen Migrations- oder gar Fluchterfahrungen gemacht haben, üben wir uns alle fast täglich im Umgang mit Interkulturalität.  Wie aber kann man das gezielt lernen?

Hier hilft vor allem:

  • Sich mit den unterschiedlichsten Menschen umgeben und mit ihnen leben und arbeiten lernen.
  • Sich der eigenkulturellen Prägung bewusstwerden und diese auch mal in Frage stellen. Vorurteile und Stereotype möglichst oft überdenken und nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten suchen.
  • Besonders viel lernt man natürlich, wenn man selbst mal einige Zeit im Ausland verbringt.
  • Aber auch von zu Hause aus lässt sich viel an den eigenen interkulturellen Kompetenzen arbeiten, denn das Angebot im Coaching- und Schulungsbereich ist groß. Meistens werden kulturunabhängige allgemeine und / oder kulturspezifische Formate angeboten, zum Beispiel zur Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt. Auch eine neue Sprache zu lernen, eröffnet dir immer neue (kulturelle) Möglichkeiten.

Fazit: Interkulturalität ist was Tolles, der Umgang damit will gelernt sein

Zum Schluss möchte ich mich hiermit noch einmal bewusst für ein buntes, offenes und friedliches Miteinander aussprechen. Lasst uns (von-)einander (kennen-)lernen, beruflich und privat! Und nicht vergessen: Höflichkeit und Freundlichkeit sind ziemlich universelle Werte. Verständnis und Wertschätzung füreinander helfen im Zweifelsfall immer weiter!

*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Artikel nur die männliche Form verwendet. Ein eigener Blogbeitrag zur Gender-Thematik ist übrigens in Planung 😉

Eileen von Kocemba

Eileen ist Mitarbeiterin in der Pädagogischen Abteilung des IBB und unterstützt dort die Dozierenden und Mitarbeiter*innen in allen Fragen zur Unterrichtsgestaltung, gibt Schulungen und ist u. a. am Recruitingprozess und der Ausarbeitung neuer Konzepte beteiligt. Vorm IBB hat sie Germanistik, Politikwissenschaft und Fremdsprachendidaktik (Deutsch als Fremdsprache, Kulturvermittlung) studiert.

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