Adaptive Lernsysteme. E-Learning passend gemacht. Teil 2

Adaptive Lernsysteme sind zugegebenerweise unsere Zukunft des Lernens. Heute haben wir das große Privileg, die Pioniere dieser Technologien zu sein, mit den die nächsten Generationen tagtäglich arbeiten werden. Umso spannender es ist, jetzt den Grund für die Zukunft zu ebnen, wie zum Beispiel in Sachen Datenschutz beim Online-Lernen. Mehr dazu in diesem 2. Teil.

Was bis jetzt geschah…

Datenschutz beim Online-Lernen

Irgendwann kommt bei adaptiven Lernsystemen auch die große Frage des digitalen Zeitalters auf – nämlich die nach dem Umgang mit den gesammelten Nutzerdaten. Denn eben diese sensiblen Daten zum Lernverhalten muss ein adaptives Lernsystem erheben, sammeln und speichern, um seinen Zweck überhaupt optimal erfüllen zu können. Um noch einmal auf mein Beispiel zurückzukommen: Möchten die anderen Lerner, die ebenfalls den Kurs absolvieren, dass Tonio erfährt, dass sie wie er noch Lernschwierigkeiten haben? Ein Austausch mag zwar dem Lernerfolg aller dienlich sein, aber ihr Recht auf Selbstbestimmung verletzen. Kann Tonio erfahren, welche Daten auf der Plattform bezüglich seines Lernverhaltens erhoben werden, ob sie anonymisiert werden und wer sie einsehen kann? Falls nicht, wird er sich möglicherweise von seinem Arbeitgeber überwacht und kontrolliert fühlen. „Weiß mein Vorgesetzter, dass ich mich im Kurs schwergetan habe, zusätzliche Hilfen brauchte und wird er dies bei der nächsten Gehaltsverhandlung im Hinterkopf haben?“

Transparenz sollte auch in Bezug auf die Funktionsweise des Systems bestehen. Ich als Nutzer sollte in groben Zügen wissen bzw. wissen können, wie und warum das System Anpassungen der Lernumgebung für mich vornimmt. Denn auch adaptive Lernsysteme bzw. die Algorithmen dahinter sind nicht unfehlbar und können schlicht zu bevormundend in ihren Entscheidungen sein. Marie sollte zum Beispiel das Recht haben, die für sie getroffene Entscheidung der visuellen Aufbereitung der Lerninhalte zu reduzieren oder gänzlich rückgängig zu machen.

Manchmal kann auch einfach der Ton die Musik machen. So werden Lernern bei der Sprachlernsoftware Rosetta Stone basierend auf ihrer Leistung in Wiederholungsaktivitäten zu festgelegten Zeiten „Adaptive Recalls“ angeboten. Dabei werden nur noch nicht richtig verstandenen Lerninhalte wiederholt. Es handelt sich dabei jedoch um eine „suggested activity“, die vom Lerner auch übersprungen werden kann.

 

Eine graphische Darstellung von Datensicherheit
Welche Daten gibts du weiter wenn du lernst? ©Funtap/depositphotos

Adaptivität ist keine Einbahnstraße

Erst das Verständnis der Funktionsweise adaptiver Systeme erlaubt dem Lerner deren optimale Nutzung. Wobei ich „optimal“ hier als selbständige und selbstbestimmte Nutzung definiere. Denn der Lerner soll bei aller individuellen Betreuung und effizienter automatischer Anpassung eben nicht auf das unselbstständige Objekt anonymer Algorithmen ohne Verantwortung für den eigenen Lernprozess reduziert werden. Stattdessen soll er das System und dessen für ihn getroffene Entscheidungen selbstständig hinterfragen und korrigieren können. Diese Selbstverantwortung kann auch dadurch verwirklicht werden, dass Adaptivität in beide Richtungen läuft. D. h. auch der Lerner sollte das System aktiv an seine Lernbedürfnisse und individuellen Vorlieben anpassen können. So empfiehlt zum Beispiel Franz Rosky von tts, dass faktenorientierte Anwender ihre E-Learning-Kurse beispielsweise so konfigurieren können, dass Avatare und Szenarien generell ausgeblendet werden.

 

Wo bleibt bei adaptiven Lernsystemen der Mensch bzw. in unserem Falle der menschliche Lehrende?
Ist der dann bald überflüssig?  

Mensch oder Maschine?

Diese Frage stellen sich im Kontext der fortschreitenden Automatisierung und Digitalisierung nicht nur Lehrende, sondern viele Arbeitnehmer. Mein Kollege Thomas Horn hat sich bereits in einem Blog-Artikel damit beschäftigt. Ich habe einmal überprüft, wie das dort vorgestellte Tool Job Futuromat die Ersetzbarkeit von Dozenten in der Erwachsenenbildung durch Roboter oder Algorithmen einschätzt. Das Ergebnis: Wer in diesem Beruf tätig ist, kann aufatmen. Gegenwärtig könnten nur 17 % der Tätigkeiten, die diesen Beruf ausmachen, von Robotern/Computerprogrammen übernommen werden. Und das hat gute Gründe. Auch adaptive digitale Lernsysteme werden in absehbarer Zukunft nicht die nötige Flexibilität, das Improvisationsvermögen und die schnelle Anpassungsfähigkeit aufweisen, die menschliche Lehrende auszeichnen.

Was ihnen allerdings vor allem abgeht, ist Empathie und die Fähigkeit, menschliche Lerner anders als durch die Datenbrille zu sehen und auf sie einzugehen. Ein Kollege von mir drückte es einmal so aus: Menschliche Bildungsprozesse brauchen auch zu gewissem Grad den menschlichen Faktor. Der Mensch lernt nicht nur für sich selbst, sondern zum Teil auch „für“ den Lehrenden – insbesondere dann, wenn er eine positive Beziehung zu ihm aufgebaut hat. Und mit dem Beziehungsaufbau zu Maschinen sieht es trotz deren zunehmender Adaptivität noch mau aus.

 

Eine junge Frau sitzt am Tisch mit einem Laptop und lächelt
Sich mit einem Algorythmus anzufreunden wird bald eine ganz natürliche ©Sache.GaudiLab/depositphotos

Adaptive Lernsysteme als „neue Kollegen“

Wir sollten uns aber ohnehin vom „Entweder-oder-Denken“ freimachen! Letztlich bieten adaptive Lernsysteme – genau wie die Digitalisierung und Automatisierung im Allgemeinen – Vorteile und neue Möglichkeiten für Lehrende und Bildungsprozesse. Beispielsweise kann dies als produktive Arbeitsteilung geschehen. In einem Blended-Learning Arrangement bestehend aus virtuellem oder realem Präsenzunterricht mit Lehrenden und Selbstlernphasen in einem adaptiven LMS könnten beide tun, was sie am besten können: Der Lehrende motiviert, analysiert und geht direkt auf die Lerner ein, während das adaptive Lernsysteme große Mengen Daten auswertet und passende Angebote für Wiederholung und Vertiefung macht.

Schlussendlich entsteht aber im Zusammenspiel der beiden erst der wahre Mehrwert für ihre Lerner: Der Lehrende kann die vom System effizient ausgewerteten Daten und getroffenen Schlussfolgerungen für die Vorbereitung der nächsten Präsenzphase nutzen (hier gibt es dazu ein schönes Beispiel aus dem Mathematikunterricht), aber auch dessen Empfehlungen ignorieren oder Fehlentscheidungen korrigieren. Denn er kennt seine Lerner und deren Bedürfnisse immer noch am besten …

Wie steht ihr zu adaptiven Lernsystemen und habt ihr schon adaptiv gelernt?
Welche Erfahrungen habt ihr dabei gemacht?

 

Außer den im Text direkt verlinkten Seiten wurden folgende Links für den Artikel verwendet:

https://www.iosb.fraunhofer.de/servlet/is/8918/

https://didacticalreduction.com/tag/adaptive-lernsysteme/

 

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