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Interview mit Jasmin Grießler, sozialpädagogische Begleitung

Bitte stell dich einmal kurz vor.

Ich bin Jasmin Grießler. Ich arbeite jetzt im sechsten Jahr beim IBB.

2019 habe ich angefangen, am Standort in Stade. Ich bin in der Verwaltung gestartet, habe mich mit dem Standort vertraut gemacht, eingearbeitet. Dann kam Corona, was vieles verändert, aber auch Chancen eröffnet hat. Über Corona bin ich in die komplette Standortarbeit mit reingekommen, also nicht nur Verwaltung, sondern auch die Teilnehmerbetreuung. Ich habe die AEVO gemacht, also die Ausbildereignungsordnung, und das war der erste Schritt für mich in die Richtung Pädagogik.  

Ich habe dann beschlossen, dass es für mich privat auch noch weitergehen sollte. Also habe ich eine Coaching-Ausbildung gemacht zum psychologischen Berater und Coach mit Burnout-Prävention sowie Resilienz und den ganzen Themen.

Dabei habe ich festgestellt, dass ich die Begleitung der Teilnehmenden gern vertiefen würde, also weniger im Verwaltungsbereich arbeiten, sondern in die Teilnehmerarbeit.  

Als das Thema sozialpädagogische Begleitung aufkam, bin ich in diese Abteilung gewechselt. Ich habe jetzt eine tolle Chefin. Wir sind als Team zusammengewachsen, wir haben als Team geguckt: Wo liegen die Bedürfnisse, was können wir anbieten für die Teilnehmenden? Wir wollen den Menschen weiterhelfen, nicht nur als Zuhörer, sondern wir wollen auch aktiv Hilfe zur Selbsthilfe geben. Das ist natürlich einfacher, wenn man die richtigen Tools und Werkzeuge parat hat, und da hat mir die Weiterbildung als Coach sehr geholfen.  

Was macht man in der sozialpädagogischen Begleitung?

Unsere Abteilung bietet verschiedene Pfeiler an. Die sitzen natürlich auf einem soliden Fundament mit ganz viel Vertrauen, wir haben immer ein offenes Ohr für die Teilnehmenden. 

Aber wir haben verschiedene Pfeiler, die das Ganze tragen. Da gehören einmal für alle unsere Umschüler:innen Workshops dazu, die wir anbieten, zu den Themen berufliche Kompetenzen.  

Nicht nur die Hard Skills, die sie ja bei uns in der Umschulung im Theorieunterricht mitbekommen. Bei uns geht es auch in Richtung Soft Skills: Was brauche ich noch an Fähigkeiten, damit ich auch im Beruf zurechtkomme oder im späteren Arbeitsleben? Das sind eben nicht nur verschiedene Programme oder das Fachwissen, sondern das sind auch Teamfähigkeit, Flexibilität, Durchsetzungsvermögen. Und das versuchen wir mit Impulsen in den Workshops mitzugeben. Die meisten sind da sehr offen und nehmen das gerne an, weil es auch etwas ganz Aktives ist. Das ist der eine Pfeiler, den wir haben.

Als zweiten Pfeiler sind wir in Form von Sprechstunden präsent, die immer wieder nach Bedarf oder eben auch regelmäßig in die Stundenpläne mit eingebunden sind. Da gehen wir in die Klassen. Ganz häufig sind wir dann Anlaufstelle für klasseninterne Probleme. Wenn es beispielsweise Spannungen gibt. 

Häufig machen wir auch ein Stimmungsbild: Von 1 bis 10 - wie geht es euch mit der Umschulung? Kommt ihr zurecht, läuft alles gut?  

Der dritte Pfeiler sind dann die Einzelgespräche, die es nur für unsere IBB-internen Teilnehmenden gibt. Davon bieten wir im Laufe der Umschulung mindestens 4 Stück an. Bei einigen bleibt es bei diesen vier Gesprächen. Andere nehmen das Angebot sehr viel intensiver in Anspruch. Manche sind auch schon sehr reflektiert und sagen: “Ich komme aus einer schwierigen Phase. Ich weiß, ich brauche jemanden, der für mich wirklich greifbar ist.” Dann werden es teils sogar wöchentliche Gespräche, wenn es Not tut.  

Was sind das so für klassische Themen, mit denen die Leute dann in den Einzelgesprächen kommen?

Das sind ganz unterschiedliche Themen. Bei mir ist es häufig: “Ich bin nicht sicher, ob ich die Prüfung schaffe.” Oder: “Ich habe Prüfungsangst oder Prüfungsstress. Ich habe Angst, ich könnte durchfallen und nicht genug sein.” Manchmal bringen die Menschen schon Erfahrungen aus der Vergangenheit mit, in denen etwas nicht ganz so gut oder nur knapp geschafft wurde. Das setzt sich dann fest und bleibt im Kopf und im Herzen. So werden Ängste geschürt.

Das zweite Thema, was viele Menschen meist ganz offen ansprechen, sind diverse Diagnosen, die sie mitbringen. Von sehr schweren Diagnosen bis hin zu Depressionen, Burnout oder eben auch Lernschwierigkeiten.

Da sind wir auch in dem Thema unserer Zeit drin. Gerade was Neurodivergenz angeht: Leserechtschreibschwächen, ADHS, Autismus und Verschiedenstes, was mit dazu gehört. Damit kommen die Leute häufig zu uns. Natürlich dürfen, wollen oder sollen wir nicht therapieren. Oftmals sagen die Personen bereits: ”Ich brauche einfach dies und das in Form von Gesprächen. Ich brauche manchmal einfach eine Anlaufstelle und jemanden, der mich dran erinnert: Das Leben ist eigentlich gut.” 

Das dritte Thema, was ich sehr häufig habe, ist die Vereinbarkeit von der Umschulung mit den Kindern. Das kommt auch daher, dass ich viel bei unseren Umschülern im Büromanagement eingesetzt bin. Auch häufig in den Teilzeitklassen.  

Wir haben ganz, ganz viele Frauen darin, die kleine Kinder haben. Zum größten Teil alleinerziehend. Da geht es dann darum: Wie bekomme ich die Umschulung mit dem Kind unter einen Hut? Und mit all den Verpflichtungen, die ja dann so oder so noch mal on top kommen. Manchmal sind auch die Finanzen mit dabei, wo wir gewisse Tipps geben, wie die Führung eines Haushaltsbuches. Häufig verweisen wir dann auch an externe Hilfen und unterstützen bei der Suche danach. Schuldnerberatungen oder diverse soziale Organisationen werden dann mit ins Boot geholt.

Was bereitet dir an deinem Job Spaß?

Es ist das Gesamtpaket. Ich habe ein tolles Team. Wir unterstützen uns gegenseitig. Außerdem haben wir eine tolle Teamleitung.  

Und ich habe für mich persönlich das Gefühl: Wir können den Menschen helfen. Und wenn es nur offene Ohren sind. Dass sie mit uns reden können, dass sie wissen, wir sind da. Das schafft eine Vertrauensbasis.  

Wenn wir dann Leute haben, die auf uns zukommen und sagen: “Das Gespräch hat mir so geholfen, jetzt geht's mir viel besser.” Das ist für uns auch ein Erfolgserlebnis als Mitarbeiter. Das ist genau der Grund, warum ich hier sein möchte.

Gibt es konkrete Erfolgsgeschichten, die dir in Erinnerung geblieben sind?

Ja, es ist eine Vielzahl und manchmal sind es auch ganz kleine Geschichten.

Eine meiner ersten Teilnehmerinnen, die ich in ihrer Teilzeit-Umschulung begleiten durfte, hat am Ende die Umschulung erfolgreich bestanden. Die Dame hatte damals eine Diagnose, die ihr das Lernen wirklich erschwert hat.  

Zudem war sie alleinerziehend, sie hatte ein Kind in der Grundschule. Sie musste die Ferienzeiten überbrücken und regelmäßig, wenn es zu Prüfungsterminen kam – im Büromanagement sind es ja mehrere –, kam sie und sagte: „Ich kündige, ich mache nicht weiter.“ Wir haben dann gesagt: “Nein, das kriegen wir hin. Es ist die erste Prüfung, Sie haben nichts zu verlieren.” Und dann hat sie sehr gut bestanden.  

Vor der schriftlichen Abschlussprüfung war es ähnlich. Die Gespräche wurden dann intensiver, die Gesprächsfrequenz wird dann natürlich auch angehoben. Die Umschülerin hat dann mitgeschrieben. Erfolgreich. Ähnlich war es wieder vor der mündlichen Prüfung: „Das schaffe ich im Leben nicht - was soll ich denen erzählen?“ Und dann ist sie sogar mit einer glatten 1 rausgegangen.  

Da hatte ich Gänsehaut. Ich dachte: „Mensch, die hat sich da so durchgeschlagen.“

Super.

Ich hatte auch einmal eine Dame mit finanziellen Problemen. Leider ist es so, dass im Leben nicht immer alles rundläuft. Die Umschülerin kam aus einer toxischen Beziehung, aber sie hat sich immer wieder aufgerappelt, hat gekämpft. Sie wollte ihrem Kind auch vorleben, wieder auf eigenen Füßen stehen. Sie hat es erfolgreich ins Praktikum geschafft, die ganzen LEKs (Anmerkung der Redaktion: Lernerfolgskontrollen) bestanden. Das ist einfach ein Erfolg.  

Ja, total.

Es sind genau diese kleinen Geschichten, finde ich. Dieses immer wieder aufstehen, dieses Durchhalten, diese Kraftreserven, die da noch mal mobilisiert werden. Das ist bewundernswert.  

Was ist deiner Meinung nach der wichtigste Faktor für eine erfolgreiche Begleitung? Wir begleiten ja in der Regel virtuell. Wie nimmst du das wahr?

Am Anfang herrscht etwas Skepsis. Man fragt sich, wie die Vertrauensbasis aufgebaut werden kann, wenn man nicht im gleichen Raum ist. Aber da hat sich die letzten Jahre sehr viel geändert, durch die Digitalisierung und Corona. Die Menschen sind die virtuelle Kommunikation meist gewöhnt. Wir arbeiten mit MS Teams und ich motiviere meinen Gesprächspartner immer, die Kamera anzumachen. Niemand braucht Angst haben, dass die Frisur nicht gut sitzt, das ist völlig egal. Mit Hilfe der Kamera sieht man die Mimik und kann ganz anders anknüpfen.  

Jetzt haben sich die Erwartungen an Fähigkeiten und auch an Soft Skills in den letzten Jahren doch sehr gewandelt. Wie nimmst du das wahr und wie verändert sich das weiterhin? 

Ich habe so ein Teufelchen und so ein Engelchen auf der Schulter.  

Es gibt aktuelle Reporte und Berichte der Krankenkasse, dass sich in den letzten 10 bis 12 Jahren immer mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen krankmelden. Ich hatte gelesen, die Zahl ist stark gestiegen.  

Dann noch Corona, wo viele isoliert waren und man sich komplett neu aufstellen musste. Einige haben ihren Job verloren, andere mussten sich neu orientieren. Da sind so viele Schicksalsschläge dahinter. Das hat mit den Menschen und der Psyche einiges angestellt und wirkt sich auch auf die Belastbarkeit aus. Manche „zerbrechen“ daran, andere „wachsen“.  

Es gibt Menschen, die sind etwas abgestumpft und sagen: “Früher lief es auch immer so. Ich mach das jetzt weiter.“ Das kann problematisch werden, denn es hat sich viel geändert. Man ist doch gezwungen, sich hier mitunter „anzupassen“, auch wenn ich das Wort nicht gerne verwende. Aber wer in der Arbeitswelt vorankommen möchte, der kommt da kaum drum herum. Hier sehe ich das ganze IBB, also nicht nur unsere Sozialpädagogik, sondern alle Kolleg:innen als Mitbegleiter und Unterstützer. 
 

Du bist seit 2019 beim IBB. Was bedeutet das vierzigjährige Jubiläum des IBB für dich persönlich?

Die Frage ist spannend, weil wenige Monate, nachdem ich angefangen hab, kam Corona und alles war anders. Ich habe einige Umbruchphasen miterlebt. Was ich aber tatsächlich als großartige Chance für mich empfunden hab, weil alle Kolleg:innen gemeinsam gewachsen sind. Wir haben immer geguckt: Was können wir noch besser machen? Das werden wir in Zukunft beibehalten.  

Ich bin nicht erstaunt, dass es das IBB so lange gibt, weil ich glaube, wir leisten eine sehr gute Arbeit. Auch unsere Gesellschaft wandelt sich. Von daher sind wir hier gut angepasst. Ich freue mich nach wie vor, dass ich für das IBB arbeiten darf. 

Nun gibt es viele Personen da draußen, die sich noch unsicher sind, ob sie sich wirklich für eine Umschulung oder auch für eine Weiterbildung entscheiden sollen. Was würdest du diesen Menschen raten?

Das ist nicht ganz einfach zu beantworten, denn jeder nimmt aus einem anderen Grund Unsicherheiten wahr.  Grundsätzlich ist man nie zu alt, um etwas Neues zu lernen. Man lernt ein Leben lang. Das ist ein durchgehender Prozess. Es gibt nichts, was sie nicht lernen können.

Ansonsten nützt eine vorausschauende Planung. Jeder Zeitpunkt ist grundsätzlich ein guter Zeitpunkt. Einfacher ist es aber auch, wenn man vorher zum Beispiel die Kinderbetreuung schon abgesichert hat. Aber ansonsten find ich gibt es keine Hürden, die einen daran hindern sollten.  

Bitte beschreibe zum Abschluss das IBB in drei Worten. 

Da muss ich ganz kurz nachdenken.

Ich würde mich entscheiden für den Menschen, den Zusammenhalt und das Wissen.

Weil beim IBB steht der Mensch bereits im Leitbild. Es dreht sich alles um den Menschen an sich, um das Individuum. Und auch um den Zusammenhalt, die Gemeinsamkeiten. Die Klassenverbände rücken zusammen, der Zusammenhalt ist das, was uns stark macht. Auch intern. Dieser Zusammenhalt, der fördert natürlich auch die Qualität unserer Arbeit. Und dann natürlich das Wissen. Wir sind ein Bildungsinstitut, wir vermitteln Wissen.

Dankeschön. Gibt es irgendwas, was du vielleicht noch ergänzen möchtest?

Gerade unter dem Aspekt Erfolgsgeschichten, Heldengeschichten würde ich vielleicht noch betonen wollen: Im Volksmund und auch in der Gesellschaft verbindet man einen Helden oft mit Superman und Superkräften.  

Für mich ist es eher andersrum: Für mich sind es unsere Umschüler. Es gibt so viele Menschen, die täglich ihr Bestes geben und sich durchkämpfen, die Steine in den Weg gelegt bekommen und trotzdem weitermachen - das sind für mich die Helden des Alltages, die ich wirklich bewundere. Die Helden, die ich betonen und unterstreichen wollen würde.